Die Tötung

30 Tage lang 10 Stunden gebuckelt auf dem Spargelfeld,
schickt er die Hälfte nach Haus von seinem ersten echten Geld.
Fährt die 40 Kilometer in die Stadt mit dem Bus vom Dschungelheim,
kauft sich für 20 Euro Stoff und kleidet sich komplett neu ein.
Jean-Marie aus Bouaké verließ zu Fuß die Côte d’Ivoire
vor zwei Jahren mit dem Fahrstuhl ins Ghetto, sein Los zur Tombola.
Im Januar mit 100 andern im Cayuco von Saint-Louis abgelegt,
60 schafften’s bis La Gomera, der Rest wurde im Sturm von Deck gefegt.
Jetzt steht er vor dem Club und hört von drin’ den ruhigen Reggae-Beat,
ist cool wie Bobby, stark wie 50, eleganter als Thierry Henry.

Und ihr, die powered by emotion,
in vier Wänden, auf vier Pfoten,
aufgewühlt und abgebrüht,
wollt ein echtes Mörder-Lied
für die Seele und’s Gemüt,
das ’n bisschen runterzieht.
Hört mal her, wie das hier geht.

Heiko ist ledig und Beamter, macht am Wochenende gerne einen drauf,
an diesen Samstag checkt er dabei den Black Jungle Tempel aus.
Nach paar Drinks beim Rauchen, wenn er für gewöhnlich mal ’ne Chica anspricht,
steht da die Kleine mit den vielen Piercings, raucht mit’m Bimbo einen dicken Spliff.
Nicht dass er was dagegen hätte, nein, so ist er Weißgott nicht drauf,
aber heute nach dem Stress in der Behörde regt ihn das richtig auf.
Er tanzt weiter, drückt das weg, bleibt cool, haut sich am Tresen nur den Karren voll,
gerät am frühen Morgen auch noch mit dem Auto in ’ne Verkehrskontrolle.
Am Montagmorgen dann die Akte auf dem Tisch, mit Foto von dem Kiffer-Typ;
er liest: „Gefährdungslage nicht mehr relevant“, und er hat verfügt.

Und ihr, die powered by emotion...

Sie verbrachten fast zwei Wochen lang in ihrem Bett, Sara und Jean-Marie,
hatten Zeit und Lust und Dope und hatten sich und dabei Sex wie nie.
Sie erzählte ihm von ihren Sorgen, Jobcenter... der ganze Alltags-Frust,
er von der Duldung, Afrika und auch den Schmerzen manchmal in der Brust.
In seiner Bude dann zurück, wo er nur ein paar Klamotten holen will,
erwarten ihn Uniformierte, kriegen ihn mit Klebeband und Kabelbinder still.
Schmeißen ihn in eine Zelle auf ’ne Pritsche, fixiert an Arm- und Beinen,
drehen die Sprechanlage leise, wegen der entsetzlich lauten Schreie.
„Gewahrsamstauglich“, sagt der Sani, „heiß heute; es geht uns allen schlecht.“
Hat auf der Hand ’ne kleine Straße und ’ne Strähne und ’n Zwanziger gesetzt.

Und ihr, die powered by emotion...

Am nächsten Morgen, Jean-Marie liegt kalt und starr auf seinem Fesselbett,
„Herzversagen“, sagt der Arzt, „der schafft es nicht mehr in dem Jumbo Jet.“
Sara wartet ein paar Tage, wird dann sauer, und den Rest besorgt die Zeit.
Der Richter sagt: „mangelnder Vorsatz“ und „fehlende Zurechenbarkeit“.
Wiedervorlage – und auch Heiko kriegt die Akte nochmal auf den Tisch,
macht ’nen Haken und sein Zeichen; in die Ablage, Verwandte gibt es nicht.
Dann wird es Herbst, und das ist, wie jeder weiß, die schönste Zeit im Jahr
für ’ne Reise in die Sonne, Heiko billigfliegt zum zigsten Male Gran Canaria.
In der Strandbar abends sitzend, spendiert er gerne ’nem Bikini einen Drink.
Am Horizont, weit draußen, vor der roten Sonne wiegen sich Boote im Wind.

Und ihr, die powered by emotion,
kennt schon alle Katastrophen,
seid gelangweilt oder gähnt
über dieses Mörder-Lied,
das nur irgendwas erzählt,
doch die Herzen nicht berührt,
weil es jeden Tag passiert.